Wie viel Eiweiß sollten wir am Tag zu uns nehmen? Welche Empfehlungen gibt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung? Reicht diese Menge wirklich aus? Dies und weitere Fragen werden wir uns nun etwas genauer ansehen.
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt, dass wir täglich 0,8g Eiweiß pro kg Körpergewicht zuführen sollten. Doch ist diese Menge wirklich für jede Bevölkerungsgruppe ausreichend?
Eine Meta-Analyse konnte zeigen, dass eine Eiweißzufuhr von 1,6g/kg Körpergewicht ausreichend ist um einen optimalen Muskelaufbau zu gewährleisten*. Utopische Mengen wie sie teilweise im Sport gefunden werden, sind demnach nicht nötig. Sollten Sie Steroide bzw. Wachstumshormone nehmen und Profi-Bodybuilder sein, was nichts mit Gesundheit zu tun hat, dann gelten möglicherweise andere Regeln.
Sarkopenie bezeichnet den Muskelschwund im Alter und damit einhergehend einen Verlust von Muskelkraft. Auch unser Immunsystem und unsere Stress- und Schlafhormone sind aus Aminosäuren aufgebaut. Es gilt also unbedingt zu verhindern, dass unser Körper zunehmend Muskelmasse bzw. Eiweiß abbaut. Eine systematische Übersichtsarbeit kommt zu dem Ergebnis, dass ältere Menschen ebenfalls täglich mindestens 1,6g Eiweiß pro kg Körpergewicht aufnehmen sollten**. Unsere älteren Mitmenschen sollten sich demnach eher wie Spitzensportler ernähren und nicht auf Kaffee und Kuchen setzen. Leider sind diese Empfehlungen noch nicht in den Altenheimen, Kliniken und deutschen Ernährungsleitlinien angekommen.
Untersuchungen von 229 Naturvölkern konnten zeigen, dass diese durchschnittlich 19-35% ihrer Energie in Form von Eiweiß zu sich nehmen***. Die Hadza sind eines der letzten naturnah lebenden Gemeinschaften im afrikanischen Staat Tansania. Die durchschnittliche Kalorienaufnahme einer erwachsenen Frau beträgt hier ca. 1877 kcal und eines Mannes ca. 2649 kcal pro Tag****. Dies würde bedeuten, dass Frauen ca. 87-160g und Männer ca. 123-226g Eiweiß pro Tag zu sich nehmen könnten. Wenn wir davon ausgehen, dass das Referenzgewicht der durchschnittlichen Frau in Deutschland bei 60kg liegt und das Gewicht des Durchschnittsmannes bei 70kg, würde es bedeuten, dass Frauen mit 96g (Körpergewicht x 1,6) ca. 20% ihrer Energie in Form von Eiweiß zuführen würden und Männer "lediglich" 112g bzw. ca. 17% ihrer Energie. Man kann also davon ausgehen, dass die o.g. 1,6g Eiweiß pro kg Körpergewicht definitiv als gesundheitliche Untergrenze anzustreben sind. Vorausgesetzt Sie haben zwei gesunde Nieren.
Die Aminosäure Glycin ist zwar die kleinste Aminosäure im menschlichen Körper, sie ist jedoch mengenmäßig (ca. 40%) am häufigsten in Sehnen, Knorpeln und Knochen vertreten*****. Untersuchungen gehen davon aus, dass wir täglich ca. 12g Glycin für die Kollagensynthese benötigen******. Da wir aber kaum noch Knorpel, Sehnen und Haut essen, führen wir demnach verhältnismäßig weniger Kollagen bzw. Glycin zu. Anmerkung: Da auch hier wieder ein Standardgewicht von 70kg als Referenz gewählt wurde, kann man davon ausgehen, dass Frauen mit einem niedrigeren Referenzgewicht eher 10g Glycin am Tag benötigen. Es wird davon ausgegangen, dass wir täglich nur etwa 2g Glycin mit der Ernährung zuführen und somit ein Defizit von etwa 10g! Glycin pro Tag erleiden (Anmerkung: Frauen wahrscheinlich eher 8g Glycin täglich). Vielleicht ist dies ein möglicher Grund für das vermehrte auftreten von Gelenksveränderungen im Alter (Arthrose)?
Die Aminosäure Glycin ist vor allem in Nüssen/Samen (z.B. Erdnüssen, Haferflocken und Leinsamen), Fleisch, Fisch und Hülsenfrüchten (z.B. Linsen und Bohnen) enthalten. Würden wir den Fokus vor allem auf diese Lebensmittel legen, kann man davon ausgehen, dass man mit ca. 150-200g Eiweiß am Tag auf die o.g. Glycinmengen kommt. Diese Werte sind erstaunlich nahe an der Höchstmenge der 229 Naturvölker.
Die Spanne von 19-35% der Gesamtkalorien scheint in der Natur eine gesunde Menge zu sein. Als guten Anfang würde ich mit mindestens 1,6g Eiweiß pro kg Körpergewicht starten, da dies ziemlich Nahe an die Untergrenze von 19% herankommen dürfte (je nach Körpergewicht natürlich) und sich hier bereits erstaunlich viele positive Effekte einstellen.
Nehmen wir die Aminosäure Glycin als limitierende Größe kann man jedoch davon ausgehen, dass man von einer Proteinaufnahme von mindestens 150g am Tag profitieren dürfte, besonders im Hinblick auf unsere Gesundheit und die Regeneration unseres Bindegewebes. Diese Menge sollte aber keinesfalls nur über tierische Produkte wie Fleisch zugeführt werden, da vor allem in Fleisch die entzündungsfördernde Fettsäure, Arachidonsäure, enthalten ist und dies auch aus Tierschutzsicht sicherlich nicht optimal wäre. Greifen Sie ebenfalls zu Fisch und den pflanzlichen Quellen wie Nüssen, Haferflocken und Hülsenfrüchten (Bohnen, Linsen, etc.). All diese Lebensmittel haben (relativ) hohe Glycinwerte.
Natürlich benötigt unser Körper auch gesunde Fette. Doch wie viel Fett sollten wir täglich zu uns nehmen? Lesen Sie mehr unter "5. Wie viel Fett?".
* R.W. Morton, K.T. Murphy, S.R. McKellar, B.J. Schoenfeld, M. Henselmans, E. Helms, A.A. Aragon, M.C. Devries, L. Banfield, J.W. Krieger, S.M. Philips. (2018). A systematic review, meta-analysis and meta-regression of the effect of protein supplementation on resistance training-induced gains in muscle mass and strength in healthy adults. British Journal of Sports Medicine, 52(6), 376-384. doi: https://doi.org/10.1136/bjsports-2017-097608.
** P.S. Rogeri, R. Zanella Jr., G.L. Martins, M.D.A. Garcia, G. Leite, R. Lugaresi, S.O. Gasparini, G.A. Sperandio, L.H.B. Ferreira, T.P. Souza-Junior, and A.H. Lancha Jr. (2021). Strategies to Prevent Sarcopenia in the Aging Process: Role of Protein Intake and Exercise. Nutrients, 14(1), 52. doi: https://doi.org/10.3390/nu14010052.
*** L. Cordain, J.B. Miller, S.B. Eaton, N. Mann, S.H. Holt, and J.D. Speth. (2000). Plant-animal subsistence ratios and macronutrient energy estimations in worldwide hunter-gatherer diets. American Journal of Clinical Nutrition, 71(3), 682-692. doi: https://doi.org/10.1093/ajcn/71.3.682.
**** H. Pontzer, D.A. Raichlen, B.M. Wood, A.Z.P. Mabulla, S.B.Racette, and F. Marlowe. (2012). Hunter-gatherer energetics and human obesity. PLoS ONE, 7(7), e40503. doi: https://doi.org/10.1371/journal.pone.0040503.
***** J.S.J. Smeets, A.M.H. Horstman, G.F. Vles, P.J. Emans, J.P.B. Goessens, A.P. Gijsen, J.M.X. van Kranenburg, and L.J.C. van Loon. (2019). Protein synthesis rates of muscle, tendon, ligament, cartilage, and bone tissue in vivo in humans. PLoS ONE, 14(11):e0224745. doi: https://doi.org/10.1371/journal.pone.0224745.
****** E. Melendez-Hevia, P. De Paz-Lugo, A. Cornish-Bowden, and M.L. Cardenas. (2009). A weak link in metabolism: the metabolic capacity for glycine biosynthesis does not satisfy the need for collagen synthesis. Journal of Biosciences, 34(6),
853–872. doi: https://doi.org/10.1007/s12038-009-0100-9.